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In einem aktuellen Interview mit dem Standard schenkt die Vizerektorin für Forschung und Nachwuchsförderung der Universität Wien Susanne Weigelin-Schwiedrzik ihren Schutzbefohlenen reinen Wein ein: „Unsicherheit ist […] der Motor des Erfolgs der Wissenschaften. […] Denn die Unsicherheit stachelt zu Höchstleistungen an, und mit jeder Höchstleistung gewinnt man wieder an Sicherheit dazu,“ meint sie zu Beginn des Interviews. Später definiert sie die Post-Doc Phase als den Zeitpunkt um „die Pampers auszuziehen.“ Ein schönes Bild, wie ich meine, um über die zwei Arbeitswelten nachzudenken, die in der Wissenschaft nebeneinander existieren: die der fix angestellten, relativ gut bezahlten und relativ unabhängigen ProfessorInnen und die der Anderen, die das alles nicht sind. Auf Englisch und ein wenig überspitzt: the pampered and the paupers.

Bei so viel Leidenschaft für die Unsicherheit drängt sich ein Blick in den Lebenslauf von Frau Weigelin-Schwiedrzik auf: 1973-1977 Studium in Bonn, dann Bochum bis 1988, gefolgt vom Ruf auf einen Lehrstuhl in Heidelberg. Dort bleibt sie, bis sie 2002 nach Wien übersiedelt. Mag sein, dass ein tabellarischer Lebenslauf wenig über die tatsächlichen Arbeits- und Lebensverhältnisse erzählt, ein unsicheres Leben sieht meiner Meinung nach aber anders aus. Es geht hier nicht darum, die Vizerektorin vorzuführen, sondern darauf hinzuweisen, was momentan allenthalben in Universitäten geschieht: Etablierte ProfessorInnen mit oft sehr ungebrochenen Karrieren, die in einem vollkommen anderen Rekrutierungsregime zu ihren Lehrstühlen gekommen sind, sind neuerdings der Meinung, ihre jungen KollegInnen einer hochgradig dubiosen Idee von Exzellenz zuliebe von Wirtschaftsberatungskanzleien auswählen lassen zu müssen. Kein Witz: eine Freundin, die sich vor kurzem für eine Juniorprofessur an einer deutschen Universität beworben hat, musste ein eintägiges Assessment Center über sich ergehen lassen, mit dem Hinweis, dass die Ergebnisse nicht in die Entscheidung der Auswahlkommission einfliessen werden. Wie bitte? Eine Universität gibt einen vier- bis fünfstelligen Euro-Betrag aus um herauszufinden, wieviel Führungsqualität ihre BewerberInnen haben, aber die Ergebnisse haben keine Konsequenz für die Bestellung? Und das ist, wohlgemerkt, das obere Ende der Fahnenstange. Am anderen Ende verdienen externe Lehrbeauftragte an der Universität Wien 334 Euro netto im Monat für zwei Stunden Lehre, Vorbereitung und Benotung inklusive.

Nein, Frau Weigelin-Schwiedrzik, Prekariat ist nicht super. Abgesehen davon, dass die Idee von Exzellenz einer hochgradig romantischen Vorstellung von Genie nachhängt, die mit dem Alltag von WissenschafterInnen wenig zu tun hat; abgesehen davon, dass die behauptete Korrelation von Unsicherheit und Höchstleistungen eine zu beweisende bleibt (und abgesehen davon, dass ich weit davon entfernt bin, einer Rückkehr ins alte Rekrutierungsregime von Willkür und Protektion das Wort zu reden): Unsicherheit ist der bestimmende Faktor, der Ihrem Stand den Rücken von der Lehre freihält, in einem System, das Publikationen und das Einwerben von Drittmitteln für wichtiger hält als Unterrichten. Dafür gibt es die Reservearmee der prekären Externen. Alexandre Afonso hat vor kurzem eindrücklich (wenn auch ein wenig effektheischerisch) beschrieben, wie sehr die Akademie einer Drogenbande ähnelt: eine immer kleiner werdende Gruppe von Insidern, die BMW fahren kann, unterstützt von einer wachsenden Anzahl von Outsidern, die noch bei ihren Müttern lebt. Gerade in der deutschsprachigen Akademie mit ihrer extremen Fixierung auf den Lehrstuhl als einzige angemessene Position für WissenschafterInnen, die „die Pampers ausgezogen“ haben, zeigen seine Zahlen, dass die Phase zwischen Promotion und Ruf immer länger wird.

Bleibt noch das Ausland, wo es ja offenbar Professuren in Hülle und Fülle gibt. Nehmen wir das Beispiel USA, den grössten akademischen Arbeitsmarkt der Welt. Doch auch dort scheinen die goldenen Jahre vorbei: Erst gestern wurde ich von der American Anthropological Assossiation gefragt, ob ich eine Petition gegen die Ausbeutung von externen, prekärisierten Lehrkräften unterschreiben will. Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: „Today, contingent faculty teaches 75% of classes nationwide, yet we are paid shamefully little in comparison to our tenured or tenure track counterparts. According to the Coalition on the Academic Workforce (http://www.academicworkforce.org/CAW_portrait_2012.pdf), on average, we are paid $2700 per course with no benefits.“

Doch zu was führt die Unsicherheit nun? Meiner Beobachtung nach zu einem Aussiebeprozess, der bestimmte JungwissenschafterInnen massiv behindert und andere fördert, vollkommen unabhängig von ihrer Exzellenz. Leute wie ich, die kein Problem damit haben, ein bis zwei Mal im Jahr umzuziehen und über finanzielle Rücklagen verfügen, können sich in diesem System einrichten, mit gewissen Abstrichen in der Lebensqualität: romantische Zweierbeziehungen funktionieren in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle nur, wenn eine der beiden Personen nicht in dieser Branche arbeitet und bereit ist, mit zu gondeln durch die Welt. Befreundete JungakademikerInnen mit Kindern, in aufrechten Beziehungen mit Menschen, die auch mit dem Kopf arbeiten, aber weniger flexibel sind, schauen sich dagegen nach dem Doktorat oft nach einem anderen Beruf um.

Darüber hinaus – auch wenn die wenigsten ernsthaft an eine Korrelation von Unsicherheit und Höchstleistung glauben – macht die beständige Konkurrenzsituation, in der sich nomadisierende JungwissenschafterInnen befinden, etwas mit uns: wir spitzen unsere Ellbogen und beobachten uns gegenseitig mit Argusaugen. Und viele von uns kultivieren eine Haltung, die ganz wenig mit Exzellenz zu tun hat: aggressive Mittelmässigkeit. Weil zu exzellent zu sein kann auch zu einem Karrierehindernis werden. Denn wer in der Kurie will sich schon von höchstleistenden Jungspunden umzingelt fühlen?

Es ist billig den Jungen zu sagen: „Für die Wissenschaft muss man Opfer bringen! Eine Gute hält‘s aus und um eine Schlechte ist‘s eh nicht schad! Wenn Ihr einen 9 to 5 Job wollt, dann verkauft Versicherungen,“ wenn man selber pragmatisiert ist und mit 80% der Letztbezüge in Pension geht. Aber so ist es wohl auch einfacher, als etwas dagegen zu tun, dass die Autonomie, die Generationen von ProfessorInnen verbissen verteidigt haben, von der aktuellen Generation im Namen der Exzellenz zu Grabe getragen wird.

 

Edit: Ich habe diesen Text letzte Woche an die Online-Redaktion und die Leserkommentar-Redaktion von derstandard.at geschickt. Nach einer Woche ohne Rückmeldung habe ich mich  zur Veröffentlichung hier entschieden.

4 thoughts on “Mit vollen Hosen ist leicht stinken: Über Höchstleistungen und Windeln

  1. Pingback: Mit vollen Hosen ist leicht stinken: Über Höchstleistungen und Windeln | Plattform universitäre Mitbestimmung

  2. Vielen Dank für diesen bitter nötigen Kommentar! Ich hoffe, er dreht seine Kreise, im Idealfall bis in höhere…!

    Und zum kleinen Nachtrag zur Person: wirklich faszinierend, mit welchen Leuten wir zu tun haben… irgendwann wird vielleicht eine Zeit kommen, in der die Uni-Mitarebitenden selbst ihre Führungsgremien wählen dürfen (also Demokratie, aber ob das noch zu meiner Lebzeit passiert…?)… dann würden solche Verbindungen vielleicht eher bekannt werden…

  3. Pingback: Markierungen 05/15/2014 | Snippets

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